Der starke Erwachsene - ein hoher Anspruch


 

Der Erwachsene. Ein in der Geschichte der Zeit sich wandelnder Begriff. Was heißt Erwachsensein heute? Inwieweit ist dieses Bild krankmachend oder gesundheitsfördernd? Was müßte sich am Bild ändern, um dem Erwachsensein und Erwachsenwerden gerecht zu werden?

Körperlich und juristisch ist ein 18jähriger in unserer Gesellschaft ein reifer Mensch, ein Erwachsener. Entsprechend, so der Eindruck, wird parallel zur äußeren Reife des jungen Erwachsenen im Allgemeinen auch ein hohes Maß an innerer Reife und Entscheidungsfähigkeit erwartet. Er soll früh stark sein, selbstbewußt und zielgerichtet seinen Weg finden und gehen. Dieses Erwachsenenbild hat sich aus der Geschichte entwickelt. So beschreibt Franz Pöggeler in seinem 1969 erschienen Buch: Der Mensch in Mündigkeit und Reife über ein noch im 20. Jahrhundert verbreitetes Bild vom Erwachsenen:

"Der Erwachsene galt als vollkommen auch dort, wo ihm objektiv Fehler unterliefen; es ging gegen seine Würde, Fehler gegenüber dem Kinde zuzugestehen und sich selbst um der Wahrheit willen zu korrigieren.... ---> Mehr im Online-Handbuch Leben & Reife 18plus

 

Leistungsverweigerung - Kehrseite des "starken" Erwachsenenbildes

Keine Frage: Entspannen, Spaß haben, Spielen, Tanzen - alles sind wichtige Elemente eines gesunden Lebens. Aber das Bedürfnis nach Entspannung, Party und Kind bleiben – Robert Bley spricht gar von einer „kindlichen Gesellschaft“ (1996) - scheint mir sehr ausgeprägt.

Könnte das Festhalten am Kindlichen nicht in diesem leistungsgeprägten Bild vom starken, unabhängigen und vernünftigen Erwachsenen seinen Ursprung haben? Und ist nicht gar die weitverbreite Haltung, stets "Opfer der Umstände" zu sein, eine "gesunde", trotzig-kindliche Verweigerung des hohen Anspruchs an einen "fertigen" Erwachsenen, der gemäß der 200jährigen Idee der Aufklärung ohne Gottes Liebe alleine in der Welt zu stehen hat? Inwieweit ist der Wunsch vieler heutiger Erwachsener nach Unverbindlichkeit und ausgeprägten Spaßerleben auch die Ernte dieses immer noch wirkenden "alten" Erwachsenenbildes, das dem Erwachsenen eine zu große Last an Pflichten und Zwänge auflegt?

 

Bindung und Eigenständigkeit

Aus der kindlichen Entwicklungsforschung wissen wir, dass das Kind sich im Schutz von Liebe und Geborgenheit am besten zu einem eigenständigen Menschen entwickelt. Und normalerweise werden dem Kind diese förderlichen Umgebungsbedingungen gewährt. Mit Beginn des Erwachsenseins zählt dann jedoch "plötzlich" der Anspruch und die Idee vom starken Erwachsenen, der unabhängig und ungebunden zurechtkommen muss. Doch wie soll ein junger Mensch, der sich von den Eltern löst oder als Kind die Geborgenheitserfahrung nicht machen konnte, in ein psychisch und charakterlich reifes Erwachsensein hineinwachsen, wenn dem menschlichen Bedürfnis nach Bindung und Nähe in unserer Gesellschaft zu wenig Rechnung getragen wird? Wie kann der Erwachsene unabhängig und ein eigenständiger Mensch sein, wenn seine natürlichen Bindungsbedürfnisse nicht gestillt sind? Notgedrungen wird er die erforderliche Eigenständigkeit entwickeln, doch im Allgemeinen lebt die Sehnsucht nach bedingungsloser Nähe und Liebe im Verborgenen weiter.

 

Mit dem Bild des Erwachsenen als Lebensgärtner stelle ich ein Menschen- und Erwachsenenbild vor, welches sowohl dem Bindungs- und Nähebedürfnis als auch dem Bedürfnis des Erwachsenen nach Autonomie und Eigenständigkeit Rechnung trägt.